Dombaumeister Jan Richarz gibt bei der Jahreshauptversammlung vom Karlsverein-Dombauverein dem großen Publikum spannende und alarmierende Einblicke.
Von Sabine Rother
„Rolf“ und „Peter“ blicken ganz schön frech in die versteckte Kamera: Die neuen „Patenkinder“ von Aachens Dompropst Rolf-Peter Cremer hat der NABU bereits mit Ringen versorgt, damit man sie überall erkennt. Nach einem Jahr, in dem das Wanderfalken-Paar die Bruthöhle im Westturm des Aachener Doms verschmäht hatte, freuen sich nun alle über den Nachwuchs und beobachten ihn behutsam, wie Dombaumeister Jan Richarz seinem gespannten Publikum in der zum Vortragsraum umgewandelten Schalterhalle der Sparkasse Aachen berichtet.
Jahreshauptversammlung vom Karlsverein-Dombauverein im Kundencenter, nahezu alle Plätze sind besetzt, als Hubert Herpers, Vorsitzender des Vorstandes, die Gäste begrüßt. Ein wichtiges Element des langen Abends, bei dem alle Vereinsregularien erledigt werden, ist sicher der Beitrag des Dombaumeisters, der auch diesmal wieder eindrucksvolles Bildmaterial mitbringt. Wo gibt es neue Probleme, welche Gefahren sind abgewendet worden, wie ist es mit den Finanzen? Schließlich besuchen rund 1,3 Millionen Touristen jährlich den Dom, der beständig die „pflegende Hand“ braucht – ein Begriff, den Helmut Maintz geprägt hat, Richarz‘ Vorgänger im Amt des Dombaumeisters und interessierter Gast in der hintersten Reihe.
Wenn es um Erhalt und Rettung des Doms geht, ist der Karlsverein- Dombauverein seit seiner Gründung 1847 bis heute ein zuverlässiger Partner. Zusammen mit Cremer, dem Ehrenvorsitzenden des Vereins, der auf die Beteiligung des Bistums am „Heiligen Jahr 2025“ hinweist, sitzen zudem seine Vorgänger Manfred von Holtum und Helmut Poqué im Publikum. „Pilger der Hoffnung“ lautet das Motto, das man für dieses Jahr gewählt und im Dom zum Jahreswechsel sogar ein Buch ausgelegt hat, in das Menschen ihre Hoffnungen und Wünsche schreiben können: Es ist bereits bis zur letzten Seite gefüllt.






Zum zweiten Mal ist der Verein mit seiner Jahreshauptversammlung Gast im Kundencenter und Sparkassenvorstandsvorsitzender Norbert Laufs, Schatzmeister und Gastgeber des Karlsvereins, versichert: „Das setzen wir fort, damit ist es in Aachen eine Tradition“.
2874 Mitglieder hat der Verein, für den Hubert Herpers klare Worte findet: „Wir sind ein alternder Verein, wir müssen mehr tun, um jüngere Leute zu werben“, betont er. „Um den Altersdurchschnitt zu halten, brauchen wir 100 Frauen und Männer, die etwa 40 Jahre alt sind.“ Es gehe darum, den Kulturschatz Aachener Dom zu erhalten.
Das Interesse ist unvermindert groß: Dachführungen, Newcomer-Führungen, Mosaiken-Erkundung unter dem Motto „Dom im Detail“, eine bewegende „Musik zur Nacht“ und als Gast Anne-Christine Brehm, Münsterbaumeisterin aus Freiburg, die 2024 faszinierende Einblicke in ihren Arbeitsbereich und das berühmte „Flechtwerk“ des Münster-Turms gibt. Wichtig zudem die Verabschiedung von Berthold Botzet, der nach über 20 Jahren das Amt des Domkapellmeisters an Felix Heitmann, Chorleiter aus Dortmund, weitergibt.
Die üblichen Neu- beziehungsweise Wiederwahlen sowie die Entlastung von Schatzmeister und Vorstand gehen reibungslos über die Bühne, als der Jahresabschluss des Vereins festgestellt wird. Wichtige Personalien: Michael Wirtz, langjähriges aktives Vorstandsmitglied, scheidet aus gesundheitlichen Gründen aus. Als neue Vorstandsmitglieder werden Steuerberaterin Julia Beer, Unternehmer Theodor Mahr und Michael Ziemons, Dezernent für Gesundheit der StädteRegion Aachen, mit zustimmendem Applaus begrüßt.



Rund um den Dom – da sorgt bereits eine Baustelle für Gesprächsstoff, die genau genommen außerhalb des Doms, aber zugleich ganz nah am karolingischen Mauerwerk liegt: der alte Keller, 1912 angelegt, im Untergrund in nächster Nähe zu Krämertür/Hubertus- und Karlskapelle gelegen, dessen Sanierung dem Team um Richarz viel Kopfzerbrechen bereitet. Das Entfernen der maroden preußischen Kappendecke mit ihren durchgerosteten Streben verlangte jede Menge handwerkliche Erfahrung bei allen. Von hier aus wird die Domtechnik gesteuert, zu der nicht nur eine funktionierende Heizung gehört, sondern auch die CO2-Lüftung. Sie ist notwendig, da das Kohlendioxid (CO2) den Marmor im Dom angreift und zerstört. „Mit rund 525.000 Euro der teuerste Keller Aachens“, geht Richarz auf Besonderheiten ein. Wo einst eine konkrete Feuerung stattgefunden hat, zeigen die Fotos den gigantischen „Kabelsalat“ auf kleinster Fläche, den es zu entwirren gilt. 60 Tonnen muss die neue Decke dort tragen, wo häufig Lastverkehr (etwa zu den Märkten) anfährt und wo im Notfall die Einsatzfahrzeuge der Berufsfeuerwehr stehen. Guter Nebeneffekt ist die erstmalige Sicherung und Dokumentation von karolingischem Mauerwerk, das dem Dom-Team an dieser Stelle bisher verborgen blieb. Nun gilt es, für die oberirdische Lüftung eine Lösung zu finden.
Gleichfalls im Außenbereich liegt die Taufkapelle. „Wir beobachten den Zerfall einer archäologischen Grabung im Fundament, die Luftfeuchtigkeit ist viel zu hoch“, berichtet Richarz. „Hier sind Mauerreste des einstigen Atriums, römische und karolingische Fundamente, die dürfen wir nicht verlieren.“ Von Feuchtigkeit bedroht sind gleichfalls prächtige Wandmalereien an den Wänden der Matthiaskapelle.
Vom Keller geht es über die Chorhalle, deren Fenster Sanierungsbedarf zeigen, hinauf ins Hochmünster, wo Staub und Schimmel im Bereich des karolingischen Mauerwerks schädliche Verbindungen („biogener Befall“) eingehen, sich Algen bilden, wie Untersuchungen unter ultraviolettem Licht zeigen. Sie müssen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen entfernt werden, damit die Orgel frei bleibt. Freudige Entdeckung ist eine mittelalterliche, neun Meter breite Malerei, die vermutlich ein Fenster geschmückt hat, an dieser Stelle wohl bereits bekannt war, aber noch nicht näher untersucht werden konnte. Wie der Restaurator feststellt – frei von Schimmel.
Ein auftretendes Phänomen, das den Dombaumeister sehr alarmiert, ist die „Mazeration von Hölzern“, eine Form von Holz-Korrosion. Es ist das Zusammenwirken von salzhaltigen Holzschutzmitteln (etwa in speziellen Brandschutzanstrichen) mit Tierkot, was zur Säurebildung führt. Hierdurch löst sich das Lignin im Holz auf, dessen Oberfläche im Laufe der Zeit „wollig“ wird, sich mit dem Finger eindrücken lässt, eine chemische Reaktion.
Fortgesetzt wird 2025 das „Elektroprojekt“, der Kampf gegen Altverkabelung, die eine hohe Brandlast bedeutet. Sorgen bereiten Monitoring-Ergebnisse in verschiedenen Bereichen der Dachstühle. Doch wieder Holzwurm? Das ist noch nicht erwiesen, feststeht aber rasch voranschreitender Schimmelbefall (Dachstuhl der Karlskapelle). Große Probleme gibt es mit der Blei-Zinn-Abdeckung des Sechzehnecks, die bereits kurze Zeit nach der Erneuerung starke Korrosionsschäden zeigt.
Neben diesen Großprojekten sind es die alltäglichen Schäden, die den Dombaumeister beschäftigen – etwa zerbrochenes Schnitzwerk an einer Kommunionbank. „Da ist offenbar jemand hineingestolpert“, stellt Richarz fest. Oder Schäden an der Kreuzgang-Verglasung. „Der Dom muss behindertengerechter werden, daran arbeiten wir“, ergänzt Richarz. Das Klima im Dom ist ein Dauerthema. „Eine wichtige Bachelorarbeit der Fachhochschule Aachen werden wir in einem Projekt umsetzen“, berichtet Dr. Jan Richarz.
Sein Blick in die Zukunft fällt auf Risse in den Fialen der Fassade, auf Bauteile, die es zu sichern gilt, auf die kleine Brücke zwischen Westturm und Oktogon, wo Bauteile „in Bewegung“ geraten, und auf ein nächstes Großprojekt: die Ungarnkapelle, die eine neue Beleuchtung braucht und demnächst vier Wochen lang geschlossen bleiben muss. „Danach werden sich die Besucher erstmal wundern, wie schmutzig die Wände sind“, versichert Jan Richarz. „Das sieht man dann erst.“
Der Applaus für den Dombaumeister ist groß. Nach seinem Dank fasst Hubert Herpers den
95-Minuten-Vortrag in einem kurzen Satz zusammen: „Sie brauchen Geld!“ Bei einem Glas Wein oder Bier gibt es danach viele Gesprächsthemen.

