Vortrag von Münsterbaumeisterin Dr. Anne-Christine Brehm im Aachener Dom
Von Sabine Rother
Das Freiburger Münster hat eine steinerne Turmhaube, die an kostbare Spitze erinnert, während der Wind sie durchweht. Es ist eine Bischofskirche, die stets den Namen „Münster“ aus ihrer Zeit als Stadtkirche behalten hat und heute noch von der Bürgerschaft getragen wird, ein Bau, der Hoffnung gibt – als er fast unbeschadet den Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg am 27. November 1944 übersteht, während rundum die Stadt in Schutt und Asche versinkt: Im Oktogon des Aachener Doms lässt Dr. Anne-Christine Brehm als Gast vom Karlsverein-Dombauverein Geschichte und Besonderheiten des Freiburger Münsters aufleben. Seit 2021 ist sie Münsterbaumeisterin und mit all den Besonderheiten des Bauwerks und dessen Geschichte vertraut. In Aachen wird ihr Beitrag mit Spannung erwartet – unter anderem vom Kollegen Dombaumeister Jan Richarz, aber auch von Hubert Herpers, dem Vorstandsvorsitzenden des Dombauvereins.
Wer aus dem eiskalten Regen kommt und den Dom betritt, wird mit dem warmen Glanz der Mosaiken begrüßt. „Ich glaube, wir haben das Glück, dass die Heizung eingeschaltet ist“, meint Herpers gutgelaunt. Dombaumeister Richarz lächelt: „Nein, man hat nur das Gefühl, die Heizung läuft nicht, wir sind ja gerade dabei, den Technik-Keller zu sanieren“, bringt Richarz geschickt das aktuelle Projekt ins Gespräch. Und dennoch – niemand friert, dazu ist der Vortrag von Anne-Christine Brehm einfach zu spannend. Zunächst zieht Herpers ein wenig Bilanz – ausgebuchte „Vertikale Domführungen“, von denen es im Oktober und im November mehr geben wird, gleichfalls eine spezielle Mosaiken-Führung und das traditionelle Konzert „Sub Corona“, also unter dem Barbarossa-Leuchter, am 30. November, dem Vorabend zum 1. Advent.
Schon das Startbild zum Thema „Bau und Erhalt des Freiburger Münsters“ fasziniert – der berühmte Blick von unten hinauf in das steinerne „Geflecht“ der Haube auf dem 116 Meter hohen Westturm, die auch das „Fenster zum Himmel“ genannt wird. „Das Münster ist nicht so alt wie der Aachener Dom“, meint Anne-Christine Brehm. „Aber es ist sehr besonders.“ Sie kennt sich in der Münster-Geschichte aus, die vielfach mit den Kirchenbauten von Ulm und Straßburg verbunden ist, sowie in jedem Winkel des aus Sandstein errichteten Gebäudes. „Der hölzerne Dachstuhl des Turms ist komplett in seiner mittelalterlichen Struktur erhalten, selbst das Luftrippen-Gewölbe für die Glocken“, betont sie mit Stolz. Nach Aachen hat die Architektin und Architekturhistorikerin, Jahrgang 1980, aufgewachsen in der Nähe von Lörrach, eine geschickt gestaltete Mischung aus Historie und Bausubstanz, Einblicke in Stilistik und Beispiele von großer Schönheit mitgebracht, die eine Stunde wie im Fluge verstreichen lassen – im Prinzip hätte man gern noch mehr gewusst, das beweisen zahlreiche interessierte Fragen aus dem Publikum.
Das Freiburger Münster – offiziell „Münster unserer Lieben Frau“ – ist mit der Bauzeit von 1200 bis 1513 ein steinernes „Dokument“ dafür, wie sich der zunächst romanische Stil in die Gotik und schließlich hin zur Spätgotik bewegt. „Die Ausstattung ist sehr gut erhalten“, beweist Anne-Christine Brehm und sorgt für einen abwechslungsreichen Spaziergang durch die Bauphasen. Wichtig ist ihr die Dombauhütte – damals wie heute Herzstück der Bewahrung und Erneuerung. Zum Thema des gotischen Bauhüttenwesens kann die Münsterbaumeisterin einen Menge beitragen, hier hat sie geforscht und sich in ihrer Promotion sogar dem umstrittenen Steinmetz und Baumeister Hans Niesenberg (1415-1493) gewidmet, einem „Enfant terrible“ seiner Zeit und Zunft.
Das Münster ist ein Kirchenbau mit abenteuerlicher Entstehungsgeschichte. Auf den Fundamentresten der ersten „konradinischen“ Kirche, benannt nach Stadtgründer Konrad I. von Zähringen (1120-1140), haben gleichfalls die späteren Zähringer Herzöge am kirchlichen Leben und damit am Seelenheil der Familie „gebaut“. So etwas wie das Baseler Münster schwebt wohl Berthold V., Patronatsherr und Hauptgeldgeber, als Stiftskirche in Freiburg vor, Baubeginn 1200.
Was sich nicht ändert und was die meisten im Dom nicht wissen: Das Münster gehört nie der Kirche. Anne-Christine Brehm erklärt warum und führt ihr Publikum durch die Bauphasen bis ins Jahr 1513, geht auf Spurensuche – natürlich auch zum berühmten Maßwerk-Turmhelm der Gotik. „Er hat zwei kleine Knicke, die sieht man kaum“, erläutert sie den Gästen. „Das fördert die Stabilität.“ Der Turm muss schließlich den Ansturm von Wind und Wetter aushalten. „Wir haben hier heftige Fallwinde“, nickt die Referentin. „Jeden Abend ab 22 Uhr, man kann fast die Uhr danach stellen.“
Die Entdeckungen im Inneren sind nicht minder spannend: Ein Mann mit zwei Hämmern, gebückt, rundum Gestein – ein Bergmann? „Ja, es ist die wohl früheste Darstellung eines Bergmannes in einem Kirchenfenster“, bestätigt Anne-Christine Brehm. „Dem Abbau von Silbererz verdankt das Münster hauptsächlich seine Finanzierung.“ Nach Tod des letzten Zähringers übernehmen den Bau die Grafen von Freiburg, die aber schließlich kein Geld mehr haben: Die Bürger machen weiter und richten diverse Stiftungen ein. Von 1295 stammt der erste Hinweis auf einen „Münsterfabrikfonds“, der „fabrica ecclesiae“, die dem Rat der Stadt untersteht. Er bestellt den „Münsterpfleger“, der für Neu- und Umbauten sorgt. Nach zahlreichen historischen Veränderungen der politischen Strukturen, wobei die Gründung des Erzbistums Freiburg 1821/27 und die Erhebung des Münsters zur Kathedrale 1890 einen Rolle spielt, ist ab 1901 vertraglich geklärt: Das Münster gehört dem „Münsterfonds“, der die Baupflicht hat. 1890 wird der Freiburger Münsterbauverein gegründet, um dringend nötige Sanierungsarbeiten zu ermöglichen. Er betreibt sogar die Münsterbauhütte.
Einer großen Zahl von wohlhabenden Freiburger Bürgern und Adeligen verdankt das Münster kostbar ausgestattete Kapellen, die zugleich das Andenken an die Familien bewahren, etwa die „Stürzelkapelle“ oder die „Lichtenfels-Krozingen-Kapelle“. Allein das Kaiserhaus stiftet zwei Kapellen und selbst die 1457 gegründete Universität hat im Chor des Münsters solch einen Gedenkort. Die Zünfte stellen sich in den von ihnen in Auftrag gegebenen Fenstern dar. Die Werk- oder Baumeister des Münsters sind selbstbewusst. So hat sich auf der spätgotischen Kalksteinkanzel das Porträt des Bildhauers Jörg Kempf erhalten, datiert von 1501 – Kappe, große Hände, Bart und eine eindrucksvolle Nase.
Die Referentin nimmt ihre Zuhörerinnen und Zuhörer mit zu den schönsten Stücken der Ausstattung – an der Spitze der Hochaltar von Hans Baldung Grien, ein in der Zeit von 1512-1516 geschaffener prächtiger Flügelaltar in strahlenden Farben. In der Weihnachtszeit zeigt er „Mariä Verkündigung“, „Heimsuchung“, „Geburt Christi“ und „Flucht nach Ägypten“. Für den Rest des Jahres thront im Mittelbild eine gekrönte Maria, die von den zwölf Aposteln umgeben wird. Übrigens: das gesamte Münster war im Mittelalter ausgemalt. „Die Malereien hat man im 19. Jahrhundert entfernt“, weiß die Münsterbaumeisterin. „Wir finden bei Sanierungsarbeiten immer wieder Farbreste, die das beweisen, sogar einige Fragmente der Ausmalung sind noch erkennbar.“
Erhalten sind zudem fein gearbeitete Reliefs und Skulpturen, ein „Bilderbuch der Gotik“, in dem schöne, anmutig bewegt wirkende steinerne Frauen mit wehenden Kleidern die sieben freien Künste repräsentieren – die „Grammatik“ zieht einem Schüler am Ohr, die „Geometrie“ hat die Baumeister-Insignien, den Winkel und Zirkel, dabei. „Die mag ich ganz besonders“, lächelt Anne-Christine Brehm. Die Zeichen der Bauhütte sind überall zu finden, sogar Anspielungen auf die Bauten in Straßburg und Ulm. „Das Rosenfenster etwa“, zeigt Anne-Christine Brehm ein Beispiel. „Es ist kleiner, als die Fensterrosette im Straßburger Münster, gilt allerdings als Freiburger Versuchsfenster für Straßburg.“
Stolz erscheinen die vom Rat der Stadt eingesetzten „Baupfleger“ für das Münster – ein Gemälde zeigt sie in Pelz besetzen Mänteln, dazu einen „Bauschaffner“, den Mann fürs Geld. Die Zuhörerschaft horcht auf: Schaffner? Wie bei der Bahn? Tatsächlich kommt der alte Begriff aus dem Mittelhochdeutschen „schaffenære“ und benennt einen Beamten als Vermögensverwalter.
Dann gibt es noch einen Ausflug ins Grüne – zu den Sandsteinbrüchen, deren Materialien (etwa der Neckartäler Hartsandstein) prägend für das Freiburger Münster sind – rosarot, aber vielfach empfindlich und bröselig. So war es von Anfang an, wie Fotografien von sanierungsbedürftigen, zum Teil durch Hasendraht gesicherten Elementen der Fassade zeigen – den gruseligen Wasserspeier etwa. Und nein: Die Baumeisterin zeigt ihn nicht, den spöttischen Burschen, der den Betrachtern (Wasser speiend) das Hinterteil zuwendet. Herzlicher Applaus, Fragen – und wieder ein Einblick in die Geschichte der großen Kathedralen durch den Dombauverein-Karlsverein.
Alle Fotos: Andreas Steindl