Rückblick auf drei informative Tage mit einem qualitätsvollen Festprogramm und schönstem Sommerwetter.

Von Sabine Rother

Aachen. Ohne diese Bürger wäre der Aachener Dom damals eingestürzt, eine Ruine, rettungslos verloren, Staub der inzwischen 1200-jährigen Geschichte, ein Monument des Glaubens und des karolingischen Machtaufbaus. Soweit kam es zum Glück nicht, aber es war knapp: 175 Jahre Karlsverein-Dombauverein (seit dem 150-er Jubiläum der Doppelname), ein außergewöhnliches Ereignis, das an einem langen Festwochenende (5. bis 7. August 2022) in Aachen aufzeigte, wie in diesen Jahren seit 1847 der Bürgersinn das rettete, was 1978 als erstes deutsches Bauwerk auf der Liste des UNESCO-Welterbes steht und in Händen einer Dombauhütte und eines versierten Dombaumeisters wie Helmut Maintz internationale Aufmerksamkeit genießt.

Der Karlsverein-Dombauverein startete – natürlich – mit einer Bilanz der Domrettung in sein Jubiläumsfest. Beim Auftaktabend sorgte Dombaumeister Helmut Maintz für einen humorvoll-fachlichen Vortrag mit spannendem Bildmaterial, „Eine Zeitreise durch die Sanierung“. Im Quadrum des Kreuzgangs – und damit im Herzen des Bauwerks – blickte er dabei zurück auf die schweren Jahrzehnte der Rettung, in denen es zunächst weder Denkmalschutz noch Stadtarchäologie gab. Dafür jede Menge guten Willen.

Freitag, 6. August 2022

Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen ist im Quadrum dabei

Doch zunächst begrüßte Hubert Herpers, Vorsitzender des Vereins, Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, seinen Vorgänger im Amt und Ehrenmitglied, Jochen Bräutigam, sowie Vertreter des Domkapitels, an ihrer Spitze Dompropst Rolf-Peter Cremer, der sich gut gelaunt zu seinen Vorgängern im Amt Manfred von Holtum, Helmut Poqué sowie zu Weihbischof Gerd Dicke setzte. Mit dabei am ersten Abend waren zudem zahlreiche langjährige Sponsoren wie Michaela und Michael Wirtz sowie Mitglieder der Stadtverwaltung.

Zum festlichen Anlass knüpfte gleich zum Start Norbert Laufs, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Aachen, dort an, wo Herpers von den Mühen der Finanzierung sprach und spricht. Er überreichte im Blick auf den Anlass einen Jubiläumsscheck in Höhe von 17.500 Euro – und nahm ihn als Schatzmeister des Bürgervereins gleich wieder in Verwahrung. Herpers versicherte knapp zum Finanziellen: „In diesem Jahr werden wir 790.000 Euro einsetzen, damit der Brandschutz noch besser wird, für andere Notwendigkeiten gibt es 145.000 Euro.“

Spannung beim Angelusläuten

Mit allen Sinnen feiern, staunen, lachen, helfen und aufhorchen: Das hat der Karlsverein-Dombauverein in 175 Jahres seines Bestehens gelernt und lebt es bis heute. Als vom Westturm am Freitag das abendliche Angelusläuten erklang und der Paradiesbrunnen sein Plätschern einstellte, waren die Menschen berührt und zugleich gespannt darauf, was sie an diesem Jubiläumswochenende rund den Dom so alles erleben können – verbunden mit geselligem Beisammensein bei Brot und Wein, ob nach dem Vortrag oder am Sonntag, dem dritten Tag, nach dem festlichen Pontifikalamt mit festlichem Weihrauch und hellen Kerzen, das Bischof Helmut Dieser zusammen mit Dompropst Rolf-Peter Cremer zelebriert hatte.

Auch der Bischof gratulierte und dankte dem Verein sowie Dombaumeister Maintz, die nicht nur für das Bauwerk, sondern für die „Zeichenhaftigkeit“ des Aachener Doms im Einsatz seien. Der Dom präge „seit seiner Gründung ein Symbol für die doppelte Beheimatung des Christen“. Irdisches und Geistliches sollen sich dort verbinden. „Hier auf Erden beginnt der Ernstfall: dein Platz im Leben, die Aufgaben und die Verantwortung für andere, die du trägst“.

Schwerer Behördenweg 1847

Auch als am 5. August  1847 eine Gruppe von Bürgern einem Aufruf in der Aachener Zeitung folgte, sich an einer Vereinigung zur Rettung des gefährlich maroden Doms zu beteiligen, lag ein schwerer behördlicher Weg vor ihnen, doch sie hielten durch. Franz Jungbluth (1809–1872), Aachener und Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung in Berlin, errang „bürgerliche und kirchliche Freiheiten“ für den Verein, der sich mit dem Stiftskapitel verbinden konnte. Zwei Jahre später ging es los. Die Figurengruppe um Maria, Patronin des Doms, inmitten der heiligen Sippe war das erste Sanierungsprojekt.

Das Feuer von Notre-Dame war ein Signal

Für den Karlsverein-Dombauverein sind seitdem geistiger Gehalt, aber gleichzeitig Reaktionen auf brisante Ereignisse in der Gegenwart wichtig: Nach dem verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame 2019 sei man ins Gebälk des Doms gestiegen. „Der Brandschutz von 1929 mit der Sprinkleranlage ist gut, aber er kann noch besser werden“, verwies Herpers auf 40 bis 50 Jahre alte Kabel. „Jedes ist eine Brandlast, bereits dann, wenn es  älter als zehn Jahre ist“, betonte er. „Wir reagieren in solchen Fällen sehr schnell. Wir brauchen mehr Mitglieder, um den Dom noch besser zu unterstützen, 20 Euro im Jahr, das ist keine große Summe, bitte werben Sie alle für uns“, richtete er einen Appell an das Publikum

Postkarte an den Aachener Dom?

Wie wichtig die Hilfe für den Aachener Dom trotz grandioser Rettungserfolge bis heute geblieben ist, beweist schließlich Dombaumeister Helmut Maintz bei seiner atemberaubenden Reise durch 175 Jahre Domsanierung. Mit einer Mischung aus dramatischen Gefahrensituationen für das Weltkulturerbe und humorvollen Anekdoten fasziniert er alle im Vortrag, der niemals trocken oder langatmig wird. So verrät er: „Der Aachener Dom hatte lange keine Postadresse, ersei eine „weiße Kachel“ gewesen, wie es hieß, als man den Antrag auf die Verlegung von Glasfaserkabeln einreichte. In einem mühsamen Prozess mussten Hausnummern rundum verändert werden, dann endlich stand fest, dass „Domhof 1“ als Adresse eingetragen werden durfte. „Wenn Sie, wie ich, noch Postkarten schreiben, ist das nun möglich“, lächelte Maintz. „Ich weiß allerdings nicht, wo der Postbote so eine Karte  einwerfen kann. Einen Briefkasten habe ich nämlich nicht installiert.“ Großes Gelächter.

Die Zeit unter Napoleon

In seinem Beitrag führte er dem Publikum vor Augen, wie knapp der Dom nach der französischen Besatzungszeit (1802–1825) einem Einsturz entgangen sei. Mit der fortschreitenden Rettungsarbeit habe sich zudem das Wissen um Gesteinssorten wie regionalen Blaustein und Herzogenrather Sandstein, um die zerstörerischen Kräfte der Elemente, gefräßige Insekten, die alles Holz bedrohen, Bausünden mit gefährlichen Folgen wie das Durchtrennen des mittelalterlichen Ringankersystems bei Anbau der Chorhalle, Reinigungsrisiken und alte Erdbebenschäden, wie der tiefe Riss vom Sechzehneck bis zum Fundament, entwickelt. „Was draußen als Schmuck zu sehen ist, muss im Mauerwerk mit fast der gleichen Fläche verankert sein, das hat man nicht immer beherzigt“, zeigte Maintz das Beispiel steinerner Baldachine, die abzustürzen drohten. Das ist längst behoben. Doch alles brauche nach wie vor die „pflegende Hand“ einer spezialisierten Dombauhütte, wo man unter anderem tausend Quadratmeter inzwischen sanierte Glasfläche zu überwachten habe.

Krämerbuden rund um das Münster

Atemberaubende Darstellungen und frühe Fotodokumente aus den schlimmsten Jahren des Doms zeigten, wie dringlich die Entscheidung vor 175 Jahren war. Der Dom in einer Abbildung von 1632, ein Stich zur Heiligtumsfahrt – so sah es dort damals aus. Den heute schön aufragenden Westturm mit Kreuz und Wetterhahn gab es noch nicht, an der Annakapelle war ein Eingang, Krämerbuden schmiegten sich eng an das Mauerwerk, der Figurenreigen von Gottfried Götting aus hellem Savonnièr-Kalkstein (geschaffen 1870–1873) verzierte das Gebäude erst später. Die Bebauung rundum bedrängte das Bauwerk massiv, überall Gefährdungen. Spuren des verheerenden Stadtbrandes 1656 findet man bis heute, denn der Sandstein ist ein Spiegel für solche Ereignisse.

Kraftvolle Dombauhütte auf dem Katschhof

Die Leistungen der Dombauhütte waren in allen Zeiten enorm. Eine große Anlage mit Schmiede und anderen Handwerksformen gab es auf dem Katschhof, wie ein Foto belegt. Der Karlsverein-Dombauverein war stets zur Stelle, setzte sich ein, als es galt die Kriegswunden und Schädigungen als Folgen der Umweltverschmutzung sowie durch ätzenden Taubenkot zu beseitigen. „Da waren Engelchen mit kaputten Kniescheiben, Heilige, die ihre Köpfe oder Attribute verloren hatten, das konnte nicht so bleiben“, betonte Maintz in einem Plädoyer, das eindrucksvoll alles umfasste, was hier in 175 Jahren möglich wurde – bis hin zu Lasertechnik, Steinersatzmörtel und Forschungen an diversen Instituten der RWTH Aachen, wo Maintz einen Lehrauftrag besitzt.

Wann wird der Dom geheizt?

Im Inneren des Doms gab es in 175 Jahren gleichfalls eine Menge zu tun. Bis die Mosaiken wieder strahlten und die Marmorverkleidung vor dem Zerbröseln durch zu hohe CO2-Werte gerettet wurde, war es ein schwerer Weg. Dass Domheizung und Lüftungsanlage nicht in erster Linie für Besucherinnen und Besucher da sind, sondern zum Erhalt des Gebäudes und der Fresken im Chorraum dienen, erstaunte so manchen. „Die Luft darf nicht zu trocken und nicht zu feucht sein“, erklärt Maintz. „Da kann es sein, dass die Heizung auch im Sommer anspringt.“ Seine Bilanz: Nach 175 Jahren gehe es dem Dom, seinen Kunstwerken, Dächern, Mauern und Fenstern gut, solange die „Pflegende Hand“ weiterhin aufpassen würde.

Vortrag von Dombaumeister Helmut Maintz im Quadrum (Fotos: Andreas Steindl)

Samstag, 6. August 2022

Spannende Führungen für alle

Bei offenen Führungen, angeboten zum Festwochenende durch den Karlsverein-Dombauverein rund um den Dom und vorbei an seinen Nachbarbauten, konnten Interessierte am Samstag mit den vier Guides Josef Gülpers, Michael Prömpeler und deren Kollegin Sabine Sturz vom Aachener Tourist Service sowie Josef Vandenbergh vom Karlsverein nachspüren, was sich in nächster Domumgebung damals tat, ob Synodalgericht oder Städtisches Vinzenz-Hospiz, das dort stand, wo sich heute die Sparkasse Aachen am Münsterplatz befindet – eine Gründung übriges von Ludwig dem Frommen, Karls Sohn (778–840 nach Christus). „Ich finde es wichtig, dass man den Dom nicht isoliert sieht, dass man etwas über seine Umgebung erzählt“, betont Prömpeler, der zudem die Chance nutzte, anhand der Kapellen rund um den Zentralbau die vielschichte Baugeschichte zu erklären. Was ist mittelalterlicher Kern, was ist Gotik, was Barock und warum überhaupt so eine Chorhalle?

Für Kids & Co. muss die Orgel erst gestimmt werden

Wie sich nicht nur in Gebälk und Mauerwerk des Doms die Witterungsverhältnisse auswirken, spürte Domorganist Michael Hoppe aktuell. Bevor er sein festliches Orgelkonzert im Dom spielen konnte, musste er nach großer Hitze und plötzlicher Abkühlung die Orgel nachstimmen.

Doch noch vor Konzertbeginn wurde am Nachmittag tatsächlich ein Instrument konstruiert – klein, aber spielbar. In einem Orgelworkshop durften im Rahmen des Festprogramms über 50 Kinder im Foyer des Generalvikariats die „Orgel aus dem Koffer“ nachbauen. Wir funktioniert das? Wie sorgt die Luft für einen Ton? Was versteht man unter „Registern“? Kinder, wie der 11-jährige Jonas, der unbedingt Organist werden möchte, konnten bereits Erstaunliches über die Funktionen sagen.

Hoppe bezog sie alle mit pädagogischem Geschick in jedem Moment ein, und aus dem Bausatz der niederländischen Firma Verschueren wurde nach und nach etwas Klingendes. Dass der Hersteller der Nobel-Automarke Rolls-Royce für die Kathedrale Notre-Dame in Paris den ersten motorbetriebenen Blasebalg gebaut hat, wie Hoppe berichtete, wird nun niemand mehr vergessen – auch nicht die gleichfalls faszinierten Eltern im Hintergrund. „Wenn der Motor versagt, gibt es keinen Ton mehr, das ist mir bereits passiert, sogar an Weihnachten“, gestand Hoppe, der die Kinder danach mit zur Dom-Orgel nahm, wo die Regionalkantoren Friederike Braun und Martin Sonnen Camille Saint-Saëns‘ „Karneval der Tiere“ spielten, dicht umringt vom gesamten aufmerksamen Workshoptrupp.

Orgelworkshop und -konzert für Kinder (Fotos: Andreas Steindl)

Orgelkonzert bringt Jubiläum zum Klingen

Beim Jubiläumskonzert des Domorganisten am Samstagabend gab es dann keine Orgel-Panne. Vom mächtigen Brausen bis zum zarten Flüstern war alles dabei, Werke von Johann Sebastian Bach, Mendelssohn-Bartholdy bis hin zur Gegenwart mir Louis Vierne (1870-1937) und Alexandre Guilmant (1837-1911) boten die Klänge einer Zeit, in der es den Dom schon gab. Hier reizte Hoppe virtuos die Klangfarben der Orgel aus, mit der er vieles „nachzeichnete“, was die Marienkirche bietet: üppige Verzierungen, Glitzer, dunkle und helle Farben, geschwungene Linien und Strenge, herrliche Ornamente, schwungvolle Architektur und still glühende Farben, dazu einen „magischen“ Thron, der Geschichte geschrieben hat. Hoppe  umhüllte sein Publikum mit kraftvollen Klängen. „Eine vortreffliche Auswahl“, dankte ihm Hubert Herpers.

Orgelkonzert im Dom (Fotos: Andreas Steindl)

Sonntag, 7. August 2022

Intensive und gegenwärtige Predigt des Bischofs

In seiner persönlichen Predigt führte er das aus. „Der Dom ist ein Zeichen, für das was bleibt, was Bestand hat, wie unser Glaube.“ Die Vereinsgründer hätten Verantwortung für das Gemeinwesen übernommen in einer Zeit, als es politisch und wirtschaftlich in Deutschland schmerzlich rumort habe, geistig-geistliche Werte infrage gestellt worden seien. Hier zog Dieser die Parallele zur Gegenwart: „Der Dom steht glänzend da“, betonte er, aber das Ansehen der Kirche im Ganzen entspreche „in dramatischer Weise,  dem ‚Trauerbild unseres Verfalls‘“, wie es im Gründungsaufruf 1847 nachzulesen sei.

Dieser forderte die Aufdeckung der schlimmen Verbrechen in Kirchenkreisen, zugleich wünschte er sich, dass mehr Menschen an einer Erneuerung der Kirche mitarbeiten würden, statt sie zu verlassen und als verloren anzusehen. Dieser: „Gehen Sie nicht weg und treten Sie nicht aus: Weil dieser Dom noch steht!“

Im Karlsverein-Dombauverein spüre er den gegenwärtigen Einsatz für eine geistliche und geistige Heimat, die der Mensch dringend brauche. „Die Erfolgsgeschichte des Karlsvereins-Dombauvereins macht uns Mut, wir brauchen uns alle zum Glauben“, sagte Dieser.

Vokalensemble beim Pontifikalamt

Nach diesem abschließenden Pontifikalamt am Sonntag, das musikalisch sehr edel und klangschön vom Vokalensemble Aachener Dom unter der Leitung von Domkapellmeister Berthold Botzet (an der Orgel Domorganist Hoppe) gestaltet wurde, lud Hubert Herpers nicht nur Mitglieder zu Wein und Jazz ein. „Jeder ist willkommen, wir brauchen mehr Unterstützer“, sagte er offen. Nach dem Jubiläum gehe es schließlich unvermindert weiter. Inzwischen zeigt die wiederhergestellte Sonnenuhr an der Südseite wieder „Aachener Zeit“. Dafür, dass alles bei den zahlreichen Programmpunkten gut funktionierte, die Tische und Zelte aufgestellt und wieder zusammengeklappt, Gläser ausgepackt und Prospekte verteilt wurden, hat übrigens Vereinssekretär Frank Debye gesorgt, der auch durchweg an drei Tagen Anlaufstelle für alle Fragen war.

Ohne die Bürger vor 175 Jahren wäre der Aachener Dom eingestürzt. Ohne die Bürger 2022 würde er nicht so gut dastehen wie heute. Werden auch Sie Mitglied im Karlsverein-Dombauverein und unterstützen Sie den Erhalt des Aachener Doms mit uns gemeinsam!

Festliches Pontifikalamt im Dom zum Abschluss des Festwochenendes (Fotos: Andreas Steindl)