Die diesjährige Heiligtumsfahrt ist am 19. Juni mit der feierlichen Verschließung der Reliquien im Marienschrein zu Ende gegangen. Fünf Jahre wird es dieses Mal dauern, bis die Heiligtümer wieder zu sehen sein werden. In der Zwischenzeit sind sie allerdings nicht ganz aus dem Blick der Besucherinnen und Besucher verschwunden. Wer den Weg hinauf in die Heiligtumskapellen des Westturms auf sich nimmt, kann ihnen als Motive der dortigen Fenster begegnen.
Vor genau 60 Jahren startete die Neuerrichtung der südlichen Turmkapelle, deren Vorgängerin im Zweiten Weltkrieg durch einen Granatentreffer vollständig zerstört worden war. Nach längerer Planungsphase entschlossen sich die Expertinnen und Experten der Denkmalpflege, der damalige Dombaumeister Felix Kreusch und der Karlsverein, die Turmkapelle gemäß dem neogotischen Entwurf von Hugo Schneider aus dem 19. Jahrhundert mit geringfügigen Anpassungen wieder aufzubauen.
Im letzten Schritt erfolgte die Verglasung der Kapelle. Hierzu nutzte Felix Kreusch historische Butzenscheiben, die ehemals in der Nikolauskapelle Verwendung gefunden hatten. Die alten Rundscheiben erlauben zwar den Lichteinfall, ermöglichen aber keinen klaren Durchblick nach außen. Um dennoch einen Ausblick zu gestatten, entschloss sich Kreusch, die feststehenden Fenster motivisch zu gestalten. Als Motive hierzu wählte er die vier großen Heiligtümer, die traditionsgemäß während der Wallfahrt auch von den Kapellen aus gezeigt wurden.
So sind in der südlichen Turmkapelle das Kleid Mariens im Westen und das Enthauptungstuch von Johannes dem Täufer im Fenster der östlichen Altarnische dargestellt. Für die nördliche Turmkapelle entwarf Kreusch zwei Fenstermotive mit den Windeln Jesu und dem Lendentuch Christi. Gemäß historischer Darstellung auf Pilgerblättern der Barockzeit sind alle Reliquien entfaltet dargestellt. Dies führt zu dem Kuriosum, dass zwei Windeln zu sehen sind, in ihrem Aussehen nach zwei Hosenbeine, die der Legende nach Josef gestiftet hat. Tatsächlich war zum Zeitpunkt der Fenstergestaltung nur noch eine der Windeln in Aachen vorhanden. Beide Bildmotive sind nach Westen zum Domhof hin angebracht. An der Nordseite der Kapelle ist als historisches Zitat ein Fenster aus Resten der beschädigten Originalverglasung der Turmkapellen von 1883 eingesetzt.
Darstellung der Windeln Jesu und des Lendentuchs Christi in den Fenstern der nördlichen Turmkapelle (Fotos: © Lydia Konnegen)
Ein Jahr nach der Fertigstellung der Kapellenfenster fand 1965 die erste Wallfahrt statt, bei der die neue südliche Turmkapelle genutzt wurde und die Heiligtümer von hier aus in Richtung Münsterplatz gezeigt wurden. Letztmalig konnten die Pilger 1986 einer Reliquienweisung von Turm und Brücke folgen. Seitdem erinnern die Heiligtumsfenster an die ehemalige Nutzung der beiden Kapellen und an den Grund, warum sie ursprünglich im Mittelalter eingerichtet worden waren.