Informative und unterhaltsame Jahreshauptversammlung des Karlsvereins-Dombauvereins in der Sparkasse Aachen.
Von Sabine Rother
Den schmucken Wilhelm von Aquitanien mit Schnauzbart im feinmaschigen Kettenhemd, einst Vertrauter von Kaiser Karls Sohn Ludwig, haben die meisten noch nie so nah gesehen. Oder den freundlichen Nikolaus mit den drei Goldäpfeln. Sie alle verharren als kunstvolle Zeugen der Geschichte an der Chorhallen-Fassade des Aachener Doms: rund 90 Figuren aus empfindlichem Savonnières und Udelfanger Sandstein des Bildhauers Gottfried Götting aus den 1870er-Jahren. Nicht nur über ihr oft bröckeliges „Befinden“ sowie den Zustand von Mauerwerk und Fenstern hat Dombaumeister Dr. Jan Richarz bei der aktuellen Jahreshauptversammlung des Karlsvereins-Dombauvereins im Publikumsbereich der Sparkasse Aachen allerhand zu berichten, was den bewegten Zuschauerinnen und Zuschauern des Abends einmal mehr zeigt, wie unverzichtbar die Hilfe für den Dom bleibt.
So freut sich Hubert Herpers, Vorsitzender des Vereins, über zahlreiche Gäste, unter ihnen auch Helmut Maintz, von dem Richarz 2023 das Amt und allerhand Projekte übernommen hat, wie er in seinem Beitrag betont. Dompropst Rolf-Peter Cremer kommt später hinzu und wird inzwischen von Helmut Poqué, einem seiner Vorgänger (2008-2013), vertreten.
Dr. Birgitta Falk, Direktorin der Domschatzkammer, kann sich über die Jahresgabe 2024 freuen, denn in Band 26 der Schriftenreihe des Vereins mit dem Titel „Hinter den Türen – Aus der Arbeit der Domschatzkammer Aachen“ geht es ausschließlich um die Präsentation der frommen Schätze. Was in den engen Schränken in der 1873 eigens für diesen Zweck ausgemalten Karlskapelle vor 150 Jahren vorsichtig begann und nun in klimatisierten, individuell ausgeleuchteten Vitrinen hinter sicheren Türen am Klosterplatz zu entdecken ist, hat zudem eine Ausstellung historischer Fotografien dokumentiert. Als Kuratorin betreut Katrin Heitmann die Aktionen. Älteste Glasplatten stammen aus der Zeit um 1860, zu sehen ist damit sogar noch die einstige Barock-Ausstattung des Doms. Dem Dombauverein ist all das 2023 den Zuschuss in Höhe von 19.000 Euro wert.
Zunächst hat Herpers – wie bei jeder Mitgliederversammlung eines Vereins – die Regularien abzuarbeiten, unterstützt von Schatzmeister Norbert Laufs, Rechnungsprüfer Leo Foerster (gemeinsam mit Jens Ulrich Meyer vom Vorstand der Aachener Bank), die beide ordnungsgemäß ihren Jahresabschluss 2023 vorlegen und von der Mitliederversammlung entlastet werden. Spannende Details gibt es von der „Dr. Hans Müllejans Stiftung/Stiftung des Karlsvereins-Dombauvereins“. So beträgt das Stiftungskapital (nach Zuführung von 1.050.000 Euro) inzwischen drei Millionen Euro. Kapitalrückgang fand bei der Rosemarie und Rudolf-Palm-Stiftung statt. Da die Stiftungsgeber auf Dividenden aus Evonik- und Uniper-Aktien gehofft hatten. Die Verstaatlichung von Uniper als Folge der Entwicklungen auf dem Gasmarkt hat zur Wertminderung geführt. Erfreulich: Der Stiftungsgeber hat die Wertminderung aufgefangen und den Betrag aufgestockt. „Man kann an unseren Bilanzen sehen, wie stark wir auf Zu-Stiftungen und Spenden angewiesen sind, das wird so bleiben“, betont der Schatzmeister, in dessen Auflistung auch weiterhin der Opferstock des Doms verzeichnet ist – 2023 allerdings mit 0,00 Euro.
95 neue Mitglieder hat der Verein im vergangenen Jahr gewinnen können, womit man der „Marke 3000“ als drittgrößter Verein der Region durch den Stand von 2910 Namen wieder nähergekommen ist. „Dem steht ein Verlust von 103 Mitgliedern aufgrund von Kündigungen und Sterbefällen entgegen“, sagt Herpers.
Nach dem stillen Gedenken an 39 im vergangenen Jahr verstorbene Mitglieder des Dombauvereins wirft er einen Blick zurück auf die wichtigsten Ereignisse – wie etwa die Heiligtumsfahrt im Juni, als rund 110.000 Pilger nach Aachen zur Verehrung der Heiligtümer reisten, oder dem von Domkapellmeister Berthold Botzet und dem Trio Aeolus (Flöte, Viola, Harfe), Kammermusikensemble des Sinfonieorchesters Aachen, im Traditionskonzert „Sub Corona“ unter dem Barbarossaleuchter zum Auftakt des „Klingende Advents“ mit einem Programm – Claude Debussy, Gabriel Fauré und Jaques Ibert – , das aufhorchen ließ.
Neue und gewohnt attraktive Führungsformate, wie die begehrten Ausflüge auf das mächtige Dach der Chorhalle wurden entwickelt und damit die Mitglieder begeistert – darunter digitale Ausflüge in den Dom mit vielen durch diese Technik erst möglichen Einblicken. Demnächst wird es „Vertikale Domführungen“, ein Talkformat, sowie erneut den Besuch aus einer anderen Dom-Stadt geben – diesmal soll es die Dombaumeisterin Anne-Christine Brehm aus Freiburg sein.
Unter dem Motto „Im Glanz von Gold und Glas“ widmet man sich in einer neuen Ausstellung gezielt den kostbaren Dom-Mosaiken, die durch Installation der neuen Beleuchtungsanlage an Strahlkraft gewonnen haben. Und auch 2024 wird „Sub Corona“ wieder musiziert.
Stichwort Welterbe – hier bleibt der nach modernsten Erkenntnissen erneuerte Brandschutz ein auch nach dem 175-Jahr-Jubiläum des Vereins 2022 noch wichtiges Thema. Nicht zuletzt für die Geistlichkeit, die nun etwas vorsichtiger mit dem Weihrauch sein sollte. „Diese Maßnahme haben wir mit 790.000 Euro unterstützt“, berichtet Herpers. Inklusive einer Nachfinanzierung in Höhe von 250.000 Euro kann der Verein stolz auf seinen Beitrag für den Brandschutz von über einer Million Euro sein, wobei man auch die „Pflegende Hand“, den vom ehemaligen Dombaumeister geprägten Begriff für einen beständige Dompflege, nicht aus den Augen lässt und mit 180.000 Euro 2023 gefördert hat. Ganz oben auf der Liste stehen nun der von Schimmel bedrohte Dachstuhl der Karlskapelle (Kosten 150.000 Euro, Zuschuss des Dombauvereins 70.000 Euro), die man mit einem „volldurchlüfteten Kaltdach“ versorgen will, und die Erneuerung der undichten Regenrinne an der Chorhalle inklusive defekter Bleie (erste Kostenschätzung 600.000 Euro) – keine Kleinigkeit bei einem Dom.
Ein Vorgriff auf den Vortrag von Richarz: 65.000 Euro werden in 200 Tonnen kostbaren Nivelsteiner Sandsteins investiert, überraschend aufgefundene Felsblöcke im Abbaugebiet der Nivelsteiner Sandwerke. „Die vermutlich letzte Steinlage, die man dort angeschnitten hat“, erzählt Herpers. „Wenn er sich eignet, haben wir für viele Jahre Baustoff am Dom.“
Ein gutes Stichwort für den Dombaumeister, der lächelnd und fast in der Tradition historischer Kirchenbauer betont: „Ein wichtiger Fund für den Dom, falls der Stein im Frost nicht splittert. Allerdings werde ich den Einsatz in meiner Zeit als Dombaumeister nicht mehr erleben.“
Humorvoll schildert Richarz das anstrengende Ringen um die Baugerüste am Dom, die bei Ereignissen wie Heiligtumsfahrt oder Weihnachtsmarkt weichen müssen, um dann in Rekordgeschwindigkeit wieder zurückzukehren. Ohne das flexible und fachlich versierte Team der Dombauhütte (4,75 Stellen) gehe nichts, versichert Richarz und zeigt Fotos zum Staunen: eine Taube, die sich in nur einem Tag ohne Netzabdeckung an der Fassade in einer Nische ein Nest gebaut und sofort ein Ei gelegt hat, die Hände von Heiligen und Herrschenden, die bei Berührung zu Staub werden, die Arbeiten an der Brandmeldeanlage, die kriminalistischen Spürsinn verlangen: „Es gab noch marode Leitungen aus dem Jahr 1902, die wir erst mühsam unter der Orgel auffinden mussten“, lässt Richarz die Zuhörer teilhaben. Die Feuerlöschpumpe von 1929 bleibt, in Kombination mit modernstem Brandschutz, den nur wenige Sakralgebäude haben. „Video basiert, im Dom, im Sechzehneck, in den Kapellen“, schildert Richarz die komplizierte Planung zur Anbringung der Kameras, die nahezu unsichtbar sein sollen. „Wo Kabel über den Marmor verlegt werden, haben wir ihnen sogar einen marmorierten Anstrich gegeben“, erzählt der Dombaumeister. Weihrauch, Opferkerzen, Taufkerzen – das fördert schwierige Raumbedingungen. Richarz: „Menschen bewegen sich, da hilft uns keine Künstliche Intelligenz.“ Komplette Dunkelheit im Dom funktioniert übrigens nicht mehr: Die Kameras brauchen mindestens fünf Lux, um Brandherde zu ermitteln.
Dann dürfen alle mit auf die Reise gehen – zur südöstlichen Chorhalle, wo man lose Steine ermittelt, aufgelösten Mörtel in großer Höhe durch neu entwickelte Material ersetzt, das die „Sprengung“ durch Wasser vermeidet – eingedrungen hinter dem Stein, ist es gefroren extrem zerstörerisch. Korrosionsschäden am Blei-Dach über dem Sechzehneck müssen behoben werden. Was ist los mit dem Maßwerk, wie ersetzt man Teile, ohne das Ganze auszubauen? „65 Prozent der Fenster wackeln und klappern“, klagt Richarz, der auf die den Verfall stoppende Silikat-Farbe schwört. Eindrucksvoll der reinigende Einsatz von schwarzer Monument-Paste auf den Sandsteinfiguren, bevor man den Laser nutzt. Das Schirmchen des heiligen Nikolaus, das Löwenmaul mit dicker Zunge und starken Zähnen, der so leicht wirkende steinerne Rosenkranz eines Bischofs – all das lebt in der Pflege hell auf.
Auch Richarz wirft einen Blick zurück auf die Heiligtumsfahrt, bevor es zur Chorhalle-Nordost geht, zum kunstvoll nachgearbeiteten Kreuz des Stefan von Ungarn und dem einen oder anderen dicken Zeh, der kurz vor dem Verschwinden gerettet werden kann. „Diese Dinge sind ja nicht alle für Sie geschaffen“, wendet sich Richarz an sein Publikum. „Die hat man für Gott so schön gefertigt.“
Im Inneren der Chorhalle werden die bestaunten Kletterer besucht, wie sie in 31Metern Höhe neue Leuchtmittel anbringen. Und Richarz schildert einen Kraftakt: An nur einem Tag wurde ein Gerüst an der Orgel auf- und abgebaut, um das Instrument zu reinigen und zu stimmen: „Eine Top-Leistung!“
Nun hofft das Team der Dombauhütte, dass die Arbeiten in der Nikolauskapelle bald beginnen können, führt man wissenschaftliche Kooperationen wie beim 3D-Laserscan des Doms fort, der es unter anderem erlaubt, die Fugentiefe jedes Fassadenzentimeters zu bestimmen.
Eine herausfordernde Baustelle bleibt der 1912 eingebaute Heizungskeller – neben der Karl- und Hubertuskapelle unter städtischem Pflaster mit marodem Dach, wo immer mehr Wasser die Technik bedroht. „95 Quadratmeter, die uns nach erster Schätzung 300.00 Euro kosten“, appelliert Richarz an die Spender. Zum Schluss ein erfreutes „Ah“: das Turmfalkenjunge zeigt sich. Die Wanderfalken sind erstmal zur Kirche St. Jakob umgezogen, leider. Ein umfangreicher Vortrag – aber niemand schaut auf die Uhr, alle sind fasziniert.
Den Schlusspunkt setzt schließlich Rolf-Peter Cremer, Ehrenvorsitzender und Dompropst zugleich: „Der Dom erfährt eine veränderte Bedeutung. Nach der Heiligtumsfahrt haben sich viele junge Männer und Frauen als Ministranten und Ministrantinnen gemeldet“, berichtet Cremer. „Die Heiligtumsfahrt war ein Erfolg, den viele nicht erwartet haben.“ Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche müsse bei allen Lichtblicken mit Energie weitergehen.
Noch Fragen? Eine Zuschauerin regt Eintritt für den Dom an, wie er in anderen Gotteshäusern im Ausland zum Erhalt der Gebäude praktiziert werde. „Nein“, sagt Cremer knapp. „Die Bischöfe in Deutschland haben sich dagegen entschieden. Wir müssen allerdings auch an die Finanzierung denken.“ Bei Wein, Wasser und Minibrezeln gibt es später noch viele Diskussionspunkte.