Mit einem bewegenden Konzert des Kölner Ensembles Vokalexkursion setzt der Karlsverein-Dombauverein die „Musik zur Nacht: Sub Corona“ fort. Werke vom 16. bis 20. Jahrhundert. Informationen, intensive Meditation, schöne Stimmen und filigrane Klänge.

Von Sabine Rother

Was gibt es Schöneres, als mit einem zarten Wiegenlied nach der „Musik zur Nacht“ den Heimweg anzutreten? Das achtköpfige Ensemble Vokalexkursion – vier Frauen, vier Männer – macht  es möglich. „Sub Corona“ – gemeint sind musikalische oder literarische Kostbarkeiten, die im Aachener Dom unter dem Barbarossaleuchter, aber auch in Hochmünster und 16-Eck einem lauschenden Publikum in einer festlichen Stunde geboten werden. Zugleich wird durch kurze, eindringliche Meditationen zum tieferen Nachdenken aufgefordert.

Auf Anregung von Domkapellmeister Berthold Botzet hatte sich der Karlsverein-Dombauverein unter seinem Vorsitzenden Hubert Herpers dazu entschlossen, ein hochwertiges Konzert unter dem Motto „Wenn du kommst“ mit dem 2014 gegründeten Kölner Ensemble zu veranstalten, das bereits im letzten Jahr eingeladen war. Coronabedingt musste damals alles abgesagt werden.

„Heute ist seit 2019 das erste Treffen hier im Dom“, begrüßt Herpers sichtlich bewegt die 270 erlaubten Gäste des Abends, darunter zahlreiche Mitglieder des Domkapitels. „Wir bleiben im Gespräch“, versichert Herpers. „Vielleicht im nächsten Jahr schon wieder bei Brötchen und Wein im Kreuzgang.“ Durch einen verstärkt digitalisierten Auftritt hat man die Arbeiten am Dom und die Berichte von Dombaumeister Helmut Maintz selbst in der Pandemie intensiv begleitet, virtuelle Domführungen und Handwerkerberichte angeboten. Unter www.karlsverein.de kann man alles finden.

Und er hat noch eine wichtige Botschaft. Sind bis zu 330.000 Euro pro Jahr als Vereinsspende zur Domsanierung üblich, wird man diesmal 790.000 Euro in die Hände des Dombau-Teams geben. Es geht um die Innenbeleuchtung des Doms. „Im Prinzip nicht unser Bereich“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Aber die Kabel sind bis zu 40 Jahre alt, technisch unsicher, die Brandgefahr ist enorm. Wir wollen keine Katastrophe wie das Unglück von Notre Dame erleben. Wir brauchen den besten Sicherheitsstandard.“

Mit der „Musik zur Nacht“ im Dom, wo an einem großen grünen Kranz aus Tannengrün still die erste hohe Kerze brennt und die Madonna des Gnadenbildes in einem sehr besonderen Festkleid aus  dunkler, rot-violett funkelt, will der Karlsverein-Dombauverein Aachen zum Innehalten auffordern. Still sucht sich jeder nach der obligatorischen Kontrolle einen Platz, einzeln oder zu zweit, je nach „Haushalt“.

Die vier Sängerinnen und Sänger von Vokalexkursion kommen aus Chören am Kölner Dom und an der Musikhochschule Köln. Im A-Cappella-Ensemble haben sich damit acht starke, klangschöne Stimmen gefunden, Menschen, die in der Musik leben und im Dom ihrer Zuhörerschaft sehr nahe kommen. Außer ein paar Notenblättern brauchen sie nichts, um den Flug durch Werke von der Renaissance bis zur Moderne, also vom 16. zum 20. Jahrhundert, anzutreten. Tapfer halten die Damen in ihren eleganten schwarzen Abendkleidern aus, die Herren dürfen immerhin Anzug tragen. „Erwärmend“ wirkt vielleicht die Musik, zu der sie sich leicht bewegen, wiegen. Alles singt bei diesem Ensemble, nicht nur die Stimmen. Orlando Gibbons‘ „Hosanna to the son of David“ eröffnet einen sanften Reigen, bei dem sie das Klangerlebnis variieren, die Plätze wechseln, einander anschauen und genau wissen, wie das Miteinander gelingen kann. Es ist ein gemeinsames Atmen, und immer wieder schauen die Ensemblemitglieder unter den funkelnden Mosaiken hoch ins Oktogon. Der Dom ist ein besonderer Ort. Im „Kyrie“ von Joseph Gabriel Rheinberger gibt es einen filigranen Echo-Effekt, der Klang beleibt homogen und ausgewogen.

So eingestimmt ist Raum für eine Meditation, zu der Dompropst Rolf-Peter Cremer nicht etwa besinnlich-fromme Texte vorbereitet hat. Er erinnert an Alfred Friedrich Delp (1907-1945), den deutschen Jesuiten aus Mannheim, als Mitglied des Kreisauer Kreises wegen Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime verurteilt und 1945 in Berlin Plötzensee am Galgen hingerichtet. Cremer erzählt die Lebensgeschichte. Inhalt seiner Meditationen sind die bis heute gültigen und wertvollen Gedanken Delps, der „jedem die Möglichkeit zur Abgeschiedenheit“ wünscht und nicht alles „der Zweckmäßigkeit unterwerfen“ wollte: „Schlimm wäre eine Welt ohne Wüsten, ohne leeren Raum“, hat der Jesuit einmal gesagt. Und so werden die „Leerräume“ aufgrund der coronabedingt reduzierten Bestuhlung durch Klänge gefüllt. „Es kommt ein Schiff geladen“ – mit reinem Sopran erklingt die Zeile solistisch und lässt aufhorchen. Eines von zahlreichen Beispielen, wo die Ensemblemitglieder sich und ihre stimmlichen Fähigkeiten in lockerem Wechsel präsentieren, um dann wieder zum edlen Klang zu verschmelzen. Die Textverständlichkeit sorgt dafür, dass man gut hinhört, die Facetten der Interpretation nachvollzieht. Leicht und jung klingt „The little light“ von Moses Hogan, das Ensemble nutzt die Bandbreite weihnachtlicher Kompositionen der Epochen, pflegt eine zarte Form des beschwingten Spirituals, kann auch beschwörend klingen: „I believe in the son“, heißt es im Werk „Even when he is silent“ von Kim A. Arnesen, das modern arrangiert ist.

Wie in den Liedern immer wieder auch Not und Kälte eine Rolle spielen, das Bemühen von Maria und Josef, das neugeborene Kind in der Krippe zu schützen, beschreibt der Dompropst weiter den schmerzlichen Weg des Jesuiten Delp, der mit seinen Regime kritischen Predigten rasch ins Fadenkreuz der Verfolger geriet. Der Kreisauer Kreis hatte ihn gebeten, nach dem erhofften Umschwung, dem Ende der Zeit des Nationalsozialismus‘, an einer sozialgerechten Gesellschaft mitzuarbeiten. Doch der Umsturz vom 20. Juli 1944 scheiterte. „Delp hielt während der Gestapo-Haft an den gestalterischen Ideen des Christentums fest“, sagt Cremer nachdenklich.

„Maria durch ein Dornwald ging“, Ludwig Böhmes Lied berührt die Herzen, die Stimmen weben einen Klangteppich und blühen auf. Wie ein Gebet: „O salutaris hostia“ von Eriks Esenvalds. Das „Amen“ schwingt noch im Dom-Raum, während Cremer die dritte und letzte Meditation vorbereitet. Er beschreibt, wie dem Jesuiten „Freilassung gegen Ordensaustritt“ angeboten wurde. Delps Antwort: „Er legte am 8. Dezember 1944 in Haft vor einem Mitbruder die Profess ab“, berichtet Cremer und zitiert aus Delps Gedanken, es brauche die Änderung der Zustände – durch Bemühen, Gebet und Denken. Am 2. Februar 1945 wurde der Jesuit hingerichtet, seine Asche verstreut. Darauf hatte er bereits in einem Brief die Antwort: „Ich will mir Mühe geben, als fruchtbarer Samen in die Scholle zu fallen“, schrieb er noch am Tag der Ermordung. Tröstlich danach Johannes Greweldings „O Herr, wenn du kommst“ und das „Wexford Carol“ von John Rutter mit adventlicher Freude. Eine gehaltvolle Zeitreise ist beendet. Es gibt noch eine Zugabe „Lasst uns lauschen, heilige Engel“, ein Bekenntnis zur Stille, ein kunstvoll von Vokalexkusion interpretiertes Volkslied aus dem 19. Jahrhundert. Hubert Herpers dankt allen, die das Ereignis „Sub Corona“ begleitet haben. Sein Geschenktipp: Die dreijährige Mitgliedschaft für 50 Euro im Karlsverein-Dombauverein Aachen. 2022 feiert man das 175-jährige Bestehen. Kräftiger Applaus, endlich, nachdem man zuvor die Würde des Gotteshauses zu wahren hatte und die Hände stillhalten musste. Gemeinsam dann „Mach hoch die Tür“. Ein klangvoller Weg in den Advent. Draußen ist es kalt, der Weihnachtsmarkt schweigt.

Impressionen:

Fotos: Andreas Steindl